Avis an einen Verleger

Florian Weimer

Mit dem heutigen Tag erfüllt sich ein langgehegter Wunsch Kurt Tucholskys.

Von allen Leser-Briefen, lieber Meister Rowohlt, scheint mir dieser hier der allerschönste zu sein. Er stammt von einem Oberrealschüler aus Nürnberg.

Lieber Herr Tucholsky!

Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zu Ihren Werken meine vollste Anerkennung ausspreche. Das wird Ihnen zwar gleichgültig sein – aber ich möchte doch noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel). Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, daß man es sich nicht kaufen kann.

Gruß!

Da hast es.

Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!

(Veröffentlicht am 1. März 1932 in der Weltbühne.)

Am 21. Dezember 2005 waren siebzig Jahre vergangen, seitdem Tucholsky im schwedischen Exil Selbstmord begangen sind. Somit gehen zum 1. Januar 2006 seine Werke in die kulturelle Allmende über und stehen damit rechtlich auf einer Stufe mit Goethens.

Der Oberrealschüler dürfte allerdings kaum geahnt haben, daß dieser Prozeß so so lange dauerte. Selbst die damalige Schutzfrist von dreißig Jahren nach Tod wird wohl weit jenseits seiner Vorstellungen gelegen haben, ganz zu schweigen von den siebzig Jahren, bei denen wir nach zweimaliger, rückwirkender Verlängerung inzwischen angelangt sind.

Bei Musikaufnahmen längst verblichener Komponisten ist die Lage übrigens anders; hier erlöschen die Rechte spätestens fünfzig Jahre nach Erstveröffentlichung des Tonträgers. Das bedeutet, daß Glenn Goulds vielgerühmte Aufnahme der Goldberg-Variationen aus dem Jahr 1955 heute in Deutschland gemeinfrei wurde. Der Übergang Rechte an die Allgemeinheit fände auch noch zu Lebzeiten statt, so daß man seinem Lieblingskünstler nicht den baldigen Tod wünschen muß – oder sich darüber ärgern, daß er nicht früher das Zeitliche segnete.

Revisions


Florian Weimer
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