Das Recht zu lesen

Florian Weimer

Amazon lizenziert das Kindle-Lesegerät und die Inhalte nur für den persönlichen, nicht-gewerblichen Gebrauch.

Beim Studium der Nutzungsbedingungen für das Kindle-Lesegerät für den deutschen Markt stieß ich auf folgenden Passus:

[D]er Anbieter [d. h. der Verleger] von Inhalten [gewährt Ihnen] ein nicht-ausschließliches Recht, diese digitalen Inhalte ausschließlich für die persönliche, nichtgewerbliche Nutzung durch Sie unbegrenzt viele Male anzusehen, zu nutzen und anzuzeigen, […]

(Amazon EU Sarl, Lizenzvereinbarung und Nutzungsbedingungen für Amazon.de Kindle <http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/ref=hp_rel_topic?ie=UTF8&nodeId=200595170>, abgerufen 2011-05-15)

Auf Rückfrage bestätigte Amazon, daß diese Einschränkung sich tatsächlich auf das Lesen bezieht, und nicht etwa auf Verwertungsformen wie das Vortragen, Zurschaustellen oder Verleihen, bei denen ein gewerblicher Charakter unbestreitbar vorliegen kann. Amazon plant, keine Lizenzen für die gewerbliche Nutzung bereitzustellen und verkauft den Kindle und die dazugehörgen Inhalte nur an natürliche Personen. Weitere Klarstellungen waren dem Kundendienst erwartungsgemäß nicht zu entlocken.

Auf der anderen Seite verkauft Amazon zahlreiche Titel als Kindle-Ausgaben, bei den ein rein privates, persönliches Interesse unwahrscheinlich erscheint:

Im privaten Bereich dienen diese Titel allerhöchstens der beruflichen Weiterbildung, und dann stellt sich die Frage, ob mittelbar nicht doch eine gewerbliche Nutzung vorliegt.

Im Unklaren bleibt, ob die Nutzung eines Kindle im Rahmen eines Ehrenamtes zulässig ist. Eine private Nutzung im engeren Sinne liegt dann kaum vor, selbst in Fällen, in denen etwa ein Vortrag ohne Zustimmung des Urhebers gesetzlich gestattet ist oder die Urheberrechte abgelaufen sind. Die Lizenzbestimmungen beschreiben auch nicht, ob das Lesegerät als ganzes verliehen werden darf; die Formulierungen schließen das eher aus. Damit sind wir deutlich früher als erwartet bei einem Szenario angelegt, daß Richard Stallman 1997 beschrieb (Richard Stallman, Das Recht zu lesen <http://www.gnu.org/philosophy/right-to-read.de.html>, abgerufen 2011-05-15).

Bei einem Buch ist es hingegen rechtlich und praktisch unmöglich, das Lesen als solches zu beschränken. Das deutsche Urheberrecht geht sogar so weit, das selbständige Lesen überhaupt nicht als Verwertungsform anzusehen. Wer ein Buch besitzt, darf es auch lesen. Es spielt keine Rolle, ob das Buch sein Eigentum ist oder nicht.

Dieser Faden läßt sich beliebig weiterspinnen. Ist Fachliteratur in Kindle-Form steuerlich absetzbar, obwohl die berufliche Nutzung verboten ist? Verschafft sich etwa ein Rechtsanwalt einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, wenn er billigere Kindle-Ausgaben beruflich nutzt? Widerruft Amazon die Leserechte, wenn ein Lesen zu gewerblichen Zwecken oder durch andere Personen festgestellt wird? Darf man im familiären Kreis aus einem Kindle laut vorlesen?

Technisch dagegen scheint der Kindle solide zu sein, wie ein kurzer Test bestätigte – abgesehen davon, daß das Gerät wegen Java ME unter meinen persönlichen Java-Boykott fällt. Da Amazon es sich leisten kann, die Kindle-Ausgaben ähnlich Büchern zu bepreisen, gehe ich davon aus, daß unter dem Strich die Technik dem Buch ebenbürtig ist. Es ist insofern schade, daß viele natürliche Verwendungsweisen sich rechtlich in einer Grauzone bewegen, zusätzlich zu den generellen Schwierigkeiten bei Geräten, die an einen einzigen Online-Dienst gekoppelt sind, wie Verfügbarkeit, Datenschutz und überraschende einseitige Vertragsänderungen.

Revisions


Florian Weimer
Home Blog (DE) Blog (EN) Impressum RSS Feeds