RFID in Singapur

Florian Weimer

Singapur hat ein engmaschiges ÖPNV-Netz, das aus der MRT (in etwa eine U-Bahn, mit den üblichen Definitionsproblemen), LRT (in etwa dasselbe) und Bussen besteht. Abgesehen von den Klima-bedingten Besonderheiten (sogar die meisten Busse haben eine Klimaanlage) ist vor allem das Abrechnungssystem bemerkenswert: die Fahrgäste erhalten Karten mit RFID-Chips.

Es gibt verschieden Kartenvarianten, für Einzelfahrten (mit 1$ Pfand), Prepaid-Karten (wiederaufladbar, mehrere Fahrten) und solche mit einem Abbuchungsverfahren. Die Prepaid-Karten sind vollkommen anonym zu erwerben.

In den MRT-Stationen sind Barrieren, die eine Auflagefläche für die Karte besitzen. In der Regel reicht es aus, seinen Geldbeutel mit der Karte kurz in die Nähe zu halten, worauf sich die Barriere öffnet. Mit ein wenig Übung kann man das auch im Gehen machen. Das Verfahren ähnelt in diesem Punkt dem Londoner System, auch wenn es natürlich keine Notwendigkeit gibt, die Karte vom einem Ende der Barriere zum anderen zu transportieren. Dadurch sind weniger mechanische Teile nötig, was den Wartungsaufwand reduziert. Dadurch, daß man nicht umständlich seine Karte aus dem Geldbeutel fummeln muß und der Auslesevorgang sehr schnell geht, wird tatsächlich die Passagefrequenz durch eine Barriere erhöht, z.B. im Vergleich zu klassischen Magnetstreifen-Tickets.

Für die Busse klappt das natürlich nicht in dieser Weise mit den Barrieren, weil die kleinen Haltestellen genauso wie bei uns im ganzen Stadtgebiet verstreut sind. Deswegen muß man beim Einsteigen seine Karte gegen den RFID-Leser im Bus halten, ebenso beim Aussteigen. Wer letzteres vergißt, der bekommt das theoretische Maximum für die Busfahrt aufgebrummt, sobald er die Karte das nächste Mal benutzt.

Sowohl bei der MRT, als auch bei den Bussen wird der eigentliche Betrag erst am Ende der Fahrt abgebucht. Die Prepaid-Karten haben einen Mindestbeitrag, ab dem man nur noch eine Fahrt antreten kann; dann muß sie wieder aufgeladen werden.

Das System hat für Touristen, die sich mit den Tarifdetails nicht auskennen, den wesentlichen Vorteil, daß man kaum unabsichtlich schwarzfahren kann. Außerdem kommt man ohne Münzgeld aus, was zumindest am Anfang des Aufenthalts ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist. Die Verkehrsunternehmen besitzen zudem weitgehende Möglichkeiten, über die Tarifierung Verkehrsströme zu lenken; bei klassischen Systemen führte das nur zu einem völlig undurchschaubaren Tarifdschungel. Inwieweit der Komfort des berührungslosen Auslesen mittelfristig erhalten bleibt, wenn ein halbes Dutzend RFID-Karten um günstige Plätze an der Außenseite des Geldbeutels ringt, ist auf der anderen Seite fraglich. Mit nur einen Karte funktioniert das ganze jedenfalls hervorragend. (Es gibt offenbar auch Möglichkeiten, die ÖPNV-Prepaid-Karte jenseits der Verkehrsunternehmen zu nutzen, das probierte ich aber nicht aus.)

Die Karten selbst scheinen relativ dumm zu sein (das System gibt es ja nicht erst seit gestern), und wahrscheinlich transferieren selbst die Busse die getätigten Transaktionen an ein zentrales Computersystem (sogar die Taxis hängen allesamt in einem stadtweiten Datennetz). Die letzten Transaktionen können nämlich an den Auffüll-Stationen und über das Internet (nur über Eingabe der Kartennummer!) eingesehen werden, allerdings werden nur die letzten 20 Transaktionen der letzten drei Tage angezeigt. Das Aufzeichnen der Transaktionen ist letztlich notwendig, weil es für Anschlußfahrten eine Ermäßigung gibt. Zumindest bei den Busfahrten bucht man sich auch beim Umsteigen aus dem System aus, so daß auf andere Weise nicht die Verbindung zur vorherigen Fahrt hergestellt werden kann.

Alles in allem würde ich mir ein solches System auch hierzulande wünschen, gerade wenn ich eines Tages an einem Ort wohnen sollte, an dem es für mich keine kostengünstige Netzkarte für den ÖPNV gibt. Allerdings ist es nicht hinnehmbar, daß jeder, der meinen Geldbeutel findet (oder kurz Zugriff darauf hat) kurzerhand meine Kartennummer notieren und fortan meine Wege nachvollziehen kann. Das darf einfach nicht möglich sein. Am liebsten hatte ich natürlich etwas, was mit vertrauenswürdigen Smartcards arbeitet und gar keine zentrale Datenspeicherung erfordert. Die Entwicklungskosten dafür wären aber ziemlich hoch, andererseits müßten die Abbuchungsterminals nicht an ein Computernetz angeschlossen werden.

Revisions


Florian Weimer
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