OSDL und GNU/Linux auf dem Desktop

Florian Weimer

OSDL stellt eine seltsame Studie vor, die beleuchten soll, warum GNU/Linux auf dem Desktop nicht erfolgreich ist. Nebenbei liefert sie auch einen Anlaß, einen Blick auf Desktop-Situation bei OSDL selbst zu werfen.

OSDL (das Open Source Development Lab <http://www.osdl.org/>) spielt nicht zuletzt deswegen eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung von GNU/Linux, weil die Organisation diverse Kernel-Entwickler beschäftigt, allen voran Linus Torvalds. Neben den Bemühungen um den „Desktop“ (gemeint ist damit wohl der PC als bessere Schreibmaschine, zum Einsatz für Textverarbeitung und E-Mail-Versand) schreibt sich OSDL die Verbreitung von GNU/Linux-Systemen in verschieden Nischen auf die Fahnen: Telcos (“Carrier-Grade Linux”), mobile Endgeräte (“Mobile Linux Initiative”), und so weiter.

Nun aber zur Desktop-Studie. Sie ist als PDF-Datei erhältlich:

Beim Studium der PDF-Datei fällt (neben dem doch etwas dünnen Inhalt) vor allem auf, daß diese Datei nicht mit OpenOffice oder LaTeX erstellt wurde, sondern mit Microsoft Word. pdfinfo liefert:

$ pdfinfo DTL_Survey_Report_Nov2005.pdf
[…]
Title:          Microsoft Word - DTL_Survey_Report_v4.doc
Author:         Dave Rosenberg
Creator:        Word
Producer:       Mac OS X 10.4.3 Quartz PDFContext
CreationDate:   Thu Nov 24 10:52:13 2005
[…]

Zu allem Überfluß kommt auch noch Mac OS X zum Einsatz. Nun ist der Autor des Dokuments nicht irgendwer, sondern Dave Rosenberg, “Principal Analyst” von OSDL (OSDL Names Dave Rosenberg Principal Analyst <http://www.osdl.org/newsroom/press_releases/2005/2005_09_12_beaverton.html>, Pressemitteilung von OSDL, 2005-09-12). In der Pressemitteilung wird der Vorstand von OSDL mit den Worten zitiert,

With his knowledge of the Linux and open source marketplace, Dave can help OSDL deliver on its mission of bringing together industry, developers and customers to advance Linux.

Offenbar läßt sich das Ziel am besten erreichen, in dem man Macs mit Microsoft Word einsetzt.

Ursprünglich war ich geneigt, dies als vereinzelten Ausrutscher anzusehen, der darauf zurückzuführen ist, daß Rosenberg erst vor kurzer Zeit zu OSDL stieß. Gegen diese Auslegung spricht aber, daß viele PDF-Dokumente, die von OSDL veröffentlicht werden, mit den proprietären Produkten der jeweiligen Marktführer erzeugt werden. Die Privacy Policy <http://www.osdl.org/docs/osdl_privacy_policy.pdf> ist zwar schon fünf Jahre alt, wurde aber immerhin mit Microsoft Word und dem Adobe Distiller unter Windows erzeugt:

$ pdfinfo osdl_privacy_policy
Title:          Privacy Policy, Open Source Development Labs, Inc
Author:         Bill Chase
Creator:        Microsoft Word 9.0
Producer:       Acrobat Distiller 4.05 for Windows
CreationDate:   Fri Dec  8 18:11:28 2000
[…]

Ähnliches gilt für die Intellectual Property Policy <http://www.osdl.org/about_osdl/legal/ippolicy>. Aber auch neuere Dokumente werden noch it Word und dem Distiller erstellt, so zum Beispiel die By-Laws <http://www.osdl.org/about_osdl/legal/bylaws>:

$ pdfinfo osdl_bylaws.pdf
Title:          HOME \(US|JP\) CONTACT US PRIVACY LEGAL FAQ
Author:         Kerry Jantzi
Creator:        Acrobat PDFMaker 5.0 for Word
Producer:       Acrobat Distiller 5.0.5 (Windows)
CreationDate:   Wed Jul 14 21:13:09 2004
[…]

Oder auch das Working Group Participation Agreement <http://www.osdl.org/docs/working_group_agreement.pdf> und, ziemlich aktuell, das Membership Registration Form (Bronze) <http://www.osdl.org/docs/membership_registration_agreement_bronze_october_2005.pdf>:

$ pdfinfo working_group_agreement.pdf 
[…]
Creator:        Acrobat PDFMaker 6.0 for Word
Producer:       Acrobat Distiller 6.0 (Windows)
CreationDate:   Fri Oct 29 14:20:55 2004
[…]
$ pdfinfo membership_registration_agreement_bronze_october_2005.pdf
Title:          OSDL, Inc
Author:         Doug Kolb
Creator:        Acrobat PDFMaker 6.0 for Word
Producer:       Acrobat Distiller 6.0 (Windows)
CreationDate:   Fri Oct 28 12:12:51 2005
[…]

Da drängt sich doch die Frage auf, ob Linus Torvalds seine Stundenzettel mit Microsoft Excel führt.

Vielleicht sollte OSDL einfach Ursachenforschung betreiben, warum die eigenen Mitarbeiter keinen GNU/Linux-Desktop verwenden, anstatt eine obskure Umfrage in Auftrag zu geben. (Der Umfrage-Dienstleister Zoomerang <http://www.zoomerang.com/>, der mit der Durchführung <http://www.zoomerang.com/reports/public_report.zgi?ID=L22FS3PB3TNW> beauftragt wurde, verwendet übrigens IIS 5 für seine Webanwendung, wenn man dem Netcraft-Bericht zu zoomerang.com <http://toolbar.netcraft.com/site_report?url=www.zoomerang.com> trauen kann.) Die dabei gewonnenen Erkenntnisse könnten erhellender sein, selbst wenn die Begründung immer nur das übliche „wir haben schon immer Office verwendet” ist, gerade wenn man dies mit den Gründen vergleicht, aus denen andere Mitarbeiter einen mutmaßlichen GNU/Linux-Desktop mit OpenOffice einsetzen (solche PDF-Dateien veröffentlichte OSDL nämlich ebenfalls).

Revisions


Florian Weimer
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